18.03.2019 – RA Bierschenk:
Müller fuhr mit seinem Mofa auf einer zweispurigen Straße mit durchgehender Mittellinie und Seitenstreifen. Dieser war von der eigentlichen Fahrbahn durch eine durchgezogene Linie abgetrennt. Müller fuhr – aus seiner Fahrtrichtung gesehen – links neben der durchgezogenen Linie, also noch auf der eigentlichen Fahrbahn der Straße. Der Straßenbelag hatte infolge des vergangenen Winters gelitten; er wies einige Unebenheiten auf. Deshalb wies die Fahrweise von Müller einige Schwankungen nach rechts und links auf. Meier kam mit seinem SUV hinter Müller angerauscht. Er zog zügig an Müller vorbei. Als er mit seinem rechten Außenspiegel in Höhe des Lenkers des Mofa von Müller war, machte dieser – wie auch schon zuvor – einen leichten Schlenker nach links. Infolgedessen stieß Meier mit dem rechten Außenspiegel gegen den linken Oberarm von Müller. Hierdurch schlug der Lenker von Müllers Mofa nach rechts. Müller stürzte und schlug mit dem Kopf auf den Boden. Neben einer Schädelverletzung zog er sich einen Bruch der rechten Hüfte zu.
In dem sich anschließenden Schadensersatzprozess von Müller gegen Meier verteidigte sich dieser damit, dass Müller während des des Überholvorganges einen Schlenker nach links gemacht habe; hiermit habe er nicht rechnen können. Das Landgericht verurteilte ihn dennoch zum vollen Schadensersatz und Schmerzensgeld. Es begründete seine Haftung damit, dass er einen nicht ausreichenden Seitenabstand zu Müller eingehalten habe. Nach § 5 Abs. 4 der Straßenverkehrsordnung, so führte das Gericht aus, müsse beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere zu den zu Fußgängern und Radfahrern, eingehalten werden. Da die Erwähnung von Fußgängern und Radfahrern in § 5 Abs. 4 der Straßenverkehrsordnung nur beispielhaft erfolgt sei, gelte das Gesetz auch zu Gunsten anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere zu Gunsten von Mofa-Fahrern.
Die Frage, welcher Seitenabstand ausreichend ist, ist im Gesetz nicht im einzelnen geregelt. Der Gesetzgeber hat dies der Rechtsprechung überlassen. Diese unterscheidet im wesentlichen danach, ob es sich bei dem Überholten um einen PKW, einen Motorradfahrer oder einen Radfahrer o.ä. handelt. Während bei einem PKW ein Seitenabstand von 1 m noch ausreichend sein kann, ist dies bei allen lediglich zwei-rädrigen Fahrzeugen nicht der Fall. Dies wird damit begründet, dass man mit einem solchen Fahrzeug in aller Regel die Spur nicht so exakt einhalten kann, wie dies bei einem Pkw mit seinen vier Rädern der Fall ist. Bei einem zwei-rädrigen Fahrzeug kommt es daher immer zu leichten Schwankungen nach links und nach rechts. Aus diesem Grund ist nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm zu Motorrädern und Radfahrern ein Seitenabstand von mindestens 1,5 m einzuhalten. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg muss sogar ein Seitenabstand von mindestens 2 m eingehalten werden, wenn ein Radfahrer mit einem Kleinkind auf dem Fahrrad überholt wird. Zu beachten ist, dass es sich hierbei um Mindestabstände handelt. Diese können sich bei schlechtem Straßenbelag, stark ansteigender Straße oder ungünstigen Witterungsverhältnissen noch vergrößern, da dann mit noch erheblicheren Schwankungen in der Fahrlinie des Zweirades zu rechnen ist. Dies gilt auch angesichts einer nahen Einmündung: Orientiert sich der Zweiradfahrer hier nach hinten, um eventuell nach links abzubiegen, muss der Seitenabstand nach der Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm sogar 2,80 m betragen.
Im vorliegenden Fall stellte das Landgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und der Vernehmung von zwei Zeugen fest, dass Meier bei seinem Überholvorgang einen Seitenabstand von lediglich 60 cm zu Müller eingehalten hatte. Dies war wesentlich zu wenig. Daher war die Verurteilung von Meier gerechtfertigt.
Die vorgenannten Seitenabstände gelten übrigens im Wesentlichen auch für Radfahrer, die ein anderes Fahrrad überholen.