08.05.2019 – RA Bierschenk:
Geschäftsräume mit Publikumsverkehr werden oft zur Abschreckung von Ladendieben videoüberwacht. Mitarbeiter werden zwangsläufig ebenfalls gefilmt. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 23.08.2018 können die Aufnahmen von ihnen grundsätzlich vor Gericht verwertet werden. Der Sachverhalt:
Müller betreibt einen Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle. Zum Schutz seines Eigentums und zur Aufdeckung von Straftaten lässt er seine Geschäftsräume mit Kameras überwachen. Den Arbeitnehmern ist dies bekannt. Da Müller einen hohen Warenschwund, insbesondere bei Tabakwaren, feststellte, wertete er ab August 2016 die von ihm verwahrten Videobänder aus. Hierbei stellte er fest, dass eine bei ihm tätige Arbeitnehmerin am 3. und 4. Februar 2016 vereinnahmte Geldbeträge nicht registriert und nicht in die Kasse eingelegt hatte. Er kündigte ihr daraufhin im August fristlos. Zudem verlangte er Schadensersatz für die fehlenden Kassenbeträge. Die Arbeitnehmerin erhob Kündigungsschutzklage.
Das Landesarbeitsgericht Hamm vertrat die Auffassung, der Arbeitgeber dürfe sich auf die Videoaufnahmen nicht berufen. Es bestehe nämlich ein sog. Beweisverwertungsverbot, das eine Berücksichtigung im Prozess verbiete. Da die Aufzeichnungen erst ca. ein halbes Jahr nach ihrer Erstellung ausgewertet worden seien, habe der Arbeitgeber gegen die im Bundesdatenschutzgesetz vorgesehene Löschfrist verstoßen. Allein dieser Verstoß begründe aufgrund des intensiven Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht ein Beweisverwertungsverbot. Ob die offene Videoüberwachung der Arbeitnehmerin überhaupt zulässig gewesen sei, könne daher dahinstehen.
Müller wollte das nicht einsehen und ging zum Bundesarbeitsgericht. Das BAG gab Müller Recht und hob die Entscheidung des LAG auf. Es führte aus: Die Speicherung der Aufnahmen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, werde nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig. Solange die Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich sei, dürfe der Arbeitgeber die rechtmäßig aufgenommenen Bilder auch verwerten. Ein Arbeitgeber müsse das gewonnene Bildmaterial nicht sofort auswerten. Er dürfe vielmehr warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sehe.
Allerdings muss die Vorinstanz jetzt noch prüfen, ob die Videoüberwachung an sich rechtmäßig war, was bislang aufgrund der Annahme des Beweisverwertungsverbots nicht erfolgte. Es bleibt also spannend.
Auch wenn die Entscheidung noch zum „alten“ Datenschutzrecht ergangen ist: Ihre Grundsätze lassen sich auch auf die aktuelle Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und das aktuelle Bundesdatenschutzgesetz übertragen. Die strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung und die Verpflichtung zur unverzüglichen Löschung finden sich auch dort wieder. Bei der „offenen“ Videoüberwachung bleibt die neue Gesetzeslage somit nahezu identisch mit der alten.
Die in der betrieblichen Praxis zur Aufklärung von Straftaten eingesetzte „verdeckte“ Videoüberwachung von Arbeitnehmern ist übrigens im neuen Datenschutzrecht wiederum nicht ausdrücklich geregelt. Maßgeblich bleibt dafür nur die „Generalnorm“ für Datenerhebungen im Arbeitsverhältnis (§ 26 BDSG). Auch hier finden aber die „alten“ Maßstäbe Anwendung, wonach ein solcher Einsatz nur bei Vorliegen konkreter Verdachtsmomente einer Straftat oder erheblichen Pflichtverletzung und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen darf.