10.04.2018 – RA Bierschenk:
Müller ist Eigentümer eines Grundstückes, auf dessen Grenze zum Nachbarn hin ein Maschendrahtzaun mit einer schwankenden Höhe von 0,65 – 1,07 m steht. Dieser Maschendrahtzaun wurde vor ca. 30 Jahren von dem Nachbarn und dem Voreigentümer von Müllers Grundstück gemeinsam errichtet. Er ist zwischenzeitlich zum Teil abgesackt und insgesamt unansehnlich geworden. Müller möchte sich diesen Anblick ersparen und errichtet auf seinem eigenen Grundstück, ca. 20 cm von der Grundstücksgrenze entfernt einen Holzflechtzaun mit einer Höhe von durchgängig 1,80 m.
Der Nachbar will dies nicht hinnehmen und verlangt die Beseitigung des Holzflechtzauns. Müller erwidert lapidar, er könne auf seinem Grundstück so viele Zäune errichten, wie er wolle, dies gestatte sein Recht als Eigentümer.
Der Nachbar zieht vor Gericht. Das Amtsgericht gibt ihm recht. Das Landgericht hebt das Urteil auf, lässt jedoch die Revision zum Bundesgerichtshof zu. Dieser gibt wiederum dem Nachbarn recht und begründet seine – einigermaßen erstaunliche – Entscheidung wie folgt:
Im vorliegenden Fall handele es sich bei dem Maschendrahtzaun um eine Grenzeinrichtung. Eine solche liege dann vor, wenn die Anlage – nicht notwendigerweise in der Mitte – von der Grenzlinie zwischen den beiden Grundstücken geschnitten werde und beiden Grundstücken nutze, auf denen sie errichtet worden ist. Erforderlich für das Vorliegen einer Grenzeinrichtung sei des Weiteren, dass beide Nachbarn ihrer Errichtung als einer gemeinsamen Grenzanlage zugestimmt hätten. An die Zustimmung früherer Eigentümer seien die Parteien auch heute noch gebunden. Selbst wenn sich eine Zustimmung der früheren Eigentümer nicht mehr nachweisen lasse, so spreche jedoch eine Vermutung dafür, dass die Anlage mit deren beiderseitigem Einverständnis errichtet worden sei, wenn sie sich wegen ihrer Vorteilhaftigkeit für beide Seiten objektiv als Grenzeinrichtung darstelle. Diese Vorteilhaftigkeit liege hier vor. Aus diesem Grunde sei es unerheblich, dass keiner der beiden Nachbarn habe darlegen können, von wem der Maschendrahtzaun vor ca. 30 Jahren errichtet worden sei und welche Kenntnis die damaligen Grundstückseigentümer von dessen Verlauf gehabt hätten.
Eine solche Grenzeinrichtung – so der BGH weiter – dürfe nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht ohne Zustimmung des Nachbarn beseitigt oder geändert werden. Dieser Bestandsschutz der Grenzeinrichtung beschränke sich jedoch nicht nur auf die Substanz der Grenzeinrichtung, er verhindere also nicht nur Veränderungen des Maschendrahtzaunes selbst. Geschützt sei vielmehr auch das nach außen hervortretende Bild der Grenzanlage vor Veränderungen. So könne das äußere Erscheinungsbild auch Bedeutung für den Lichteinfall oder für gestalterische Aspekte haben. Eine solche Beeinträchtigung der Grenzeinrichtung sei aber hier durch den Holzflechtzaun gegeben. Mit dem niedrigen Maschendrahtzaun sei eine verhältnismäßig unauffällige Art der Markierung der Grundstücksgrenze verbunden, während sich der 1,80 m hohe Holzflechtzaun auf Müllers Grundstück als eine besonders markante Abgrenzung zum Nachbargrundstück darstelle. Der Nachbar habe daher einen Anspruch auf Beseitigung des Holzflechtzaunes.
Diese Entscheidung betrifft nach den eigenen Ausführungen des BGH nicht nur Grenzzäune, sondern sie gilt z.B. auch für gemeinsam benutzte Zufahrtswege. Der Nachbar wäre danach also nicht berechtigt, auf seinem Grundstück einen eigenen Zufahrtsweg anzulegen!
Ganz gleich, wie man darüber denkt; es ist höchstrichterliche Rechtsprechung und daher von allen Gerichten zu beachten.